Spätestens, wenn Sie mit Ihrem Kind zur Vorsorgeuntersuchung U4 kommen, werden Sie mit dem Thema ‚impfen’ konfrontiert. Vermutlich werden Sie sich aber schon viel früher Gedanken dazu gemacht haben. Es gibt wohl unter Eltern kaum ein Thema, das kontroverser diskutiert wird. In Zeiten des Internets sind viele Mütter und Väter einer Fülle von Informationen ausgesetzt und haben die schwierige Aufgabe, sich eine Meinung darüber zu bilden. Deswegen wollen wir Sie hier so ausführlich und vor allem so verständlich wie möglich über das Thema informieren. Diese Aufklärung soll als Grundlage für ein Impfgespräch dienen.
1. Was ist eine Impfung überhaupt und wie funktioniert sie?
‚Geimpft’ wird unser Immunsystem praktisch von der ersten Lebensstunde an. Das Immunsystem, auch das von neugeborenen Säuglingen, erkennt die Umgebungskeime (Viren, Bakterien) als fremd und beginnt, gegen diese sogenannten Antigene nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip Antikörper zu bilden. Diese Antikörper, bzw. die Fähigkeit sie zu bilden, werden vom Immunsystem gespeichert, man spricht auch vom ‚immunologischen Gedächtnis’. Antikörper sind in der Lage, Erreger unschädlich zu machen, indem sie sich fest an sie binden, sie quasi anketten, bevor sie Körperzellen befallen können. Bei einer Impfung wird eine geringe Menge eines unschädlich gemachten Erregers, bzw. nur Teile davon, in den Muskel (i.m.) gespritzt. Das Immunsystem erkennt diesen Erreger (=Antigen) als fremd und bildet spezifische Antikörper dagegen. Das immunologische Gedächtnis speichert diese Information eine gewisse Zeit, so dass bei Kontakt mit dem echten, krank machenden Erreger, gleich passende Antikörper gebildet werden können, bevor es zum Ausbruch der Erkrankung kommen kann.
2. Warum sollen schon kleine Babies im 3. Monat geimpft werden?
Viele Eltern schrecken davor zurück, einen kleinen Säugling im 3. Monat bereits impfen zu lassen. Oft befürchten sie, der Körper sei noch zu unreif und würde eine Impfung nicht verkraften.
Es gibt jedoch einige gute Gründe dafür, die erste Impfung mit 3–4 Monaten zu beginnen.
Zum einen ist der sogenannte Nestschutz dann nicht mehr vorhanden. Was bedeutet das? Das Baby erhält während der Schwangerschaft über das Plazenta-Blut mütterliche Antikörper. So hat es einen gewissen Schutz, auch vor Tetanus, und vielen anderen Erkrankungen, gegen die die Mutter Antikörper besitzt. Allerdings halten diese Antikörper nur etwa 3 Monate und bieten keinen 100%-igen Schutz vor Infektionen.
Wenn ein Baby mit 3 Monaten immer gesund war (leichter Schnupfen ausgenommen), dann wissen wir auch, dass es Antikörper bilden und somit auch auf eine Impfung entsprechend reagieren kann. Es gibt einen seltenen Immundefekt, bei dem die Kinder von Geburt an gar keine Antikörper bilden können. Diese Kinder erkranken bereits in den ersten Lebenswochen an schwersten lebensbedrohlichen Erkrankungen. Ist 3 Monate lang alles in Ordnung, können wir davon ausgehen, dass das Immunsystem ordentlich funktioniert und auch eine Impfung gut beantwortet. Der Säugling wird ja durch Keime in der Umgebung tagtäglich ‚mehrfach geimpft’. Das Immunsystem hat also schon gut trainiert und ist reif und kompetent genug, um eine Impfung gut zu verarbeiten.
Ein weiterer Grund, mit 3 Monaten erstmals zu impfen, ist der frühe Schutz vor Krankheiten, die besonders kleine Säuglinge gefährden. Vor allem der Keuchhusten (Pertussis) kann für Kinder im ersten Lebensjahr lebensbedrohlich sein. Da Keuchhusten-Infektionen häufig sind, weil sie vielfach durch nicht geimpfte Erwachsene und ältere Kinder in Umlauf gebracht werden, ist ein früher Schutz davor wichtig.
3. Warum müssen Impfungen mehrfach verabreicht werden?
Die meisten Impfungen müssen mehrfach verabreicht (= aufgefrischt) werden. Bei der ersten Impfung werden erstmals spezifische Antikörper gebildet, allerdings bei den meisten Impfungen noch nicht in ausreichender Menge. Bei der zweiten Impfung kennt das Immunsystem den Erreger bereits und bildet gleich viel mehr Antikörper, das immunologische Gedächtnis funktioniert also immer besser. (Wie beim Vokabeln lernen: Beim ersten Durchgang bleiben nur wenige Vokabeln hängen, erst durch Wiederholung werden die Vokabeln im Gedächtnis verankert.)
4. Wie groß ist die Gefahr von Impfschäden?
Man muss Impfschäden unterscheiden von leichten Impfreaktionen, die häufig nach einer Impfung auftreten können. Das sind: Vorübergehende Unruhe, meist bis zu drei Tagen nach der Impfung, Fieber, Schwellung/Rötung um die Impfstelle herum. Diese Reaktionen sind harmlos und vergehen von ganz allein wieder. Ein echter ‚Impfschaden’ ist eine bleibende Schädigung und tritt in einer Häufigkeit von 1 : mehreren Millionen auf. Das Risiko jedoch, durch eine Erkrankung, gegen die geimpft wird, einen bleibenden Schaden zu erleiden oder gar daran zu versterben (Meningokokken, Masern, Pneumokokken!) ist um ein Vielfaches höher!
5. Ist es nicht zu belastend, gegen mehrere Krankheiten gleichzeitig zu impfen?
Nein! Das Immunsystem ist daran gewöhnt, sich tagtäglich mit vielen verschiedenen Erregern in der Umgebung gleichzeitig auseinanderzusetzen. Das geschieht von Geburt an, jeden Tag. Eine 5‑fach- oder 6‑fach-Impfung ist also keine Überforderung für den Körper. Würde man gegen jede Erkrankung einzeln impfen, so wären sehr viel mehr Piekser notwendig.
6. Können Impfungen Allergien verursachen?
Auch diese Meinung ist sehr verbreitet. Doch es gibt ganz klare Fakten, die dagegen sprechen. Beispielsweise wurde die Bevölkerung der ehemaligen DDR nahezu komplett durchgeimpft, im Gegensatz dazu war die Impfbeteiligung der BRD im gleichen Zeitraum viel niedriger. Die Häufigkeit von Allergien war jedoch in der DDR viel niedriger. Wenn ein Kind Allergien oder eine Neurodermitis entwickelt, dann steht diese Veranlagung bereits bei seiner Geburt auf seinen Genen geschrieben. Wann das erstmals ausbricht, ist sehr verschieden. Das können Infekte sein, aber auch nach einer Impfung wird das Immunsystem stimuliert und es kann zur Verschlechterung einer Neurodermitis kommen. Dies sind jedoch nur vorübergehende Erscheinungen und treten bei Stress oder eben Infekten genauso auf.
7. Was ist, wenn Impftermine nicht eingehalten werden können?
Ein Kind sollte nur geimpft werden, wenn es gesund ist. Ein harmloser Schnupfen oder Husten ohne Fieber darf allerdings sein, das belastet das Immunsystem nicht zusätzlich. Sollte aufgrund einer schweren Infektion der Abstand zwischen den Impfungen jedoch viel größer sein, ist das auch kein großes Problem. Das Immunsystem vergisst nichts.
8. Welche Impfungen werden empfohlen?
Grundsätzlich sind die meisten der von der STIKO empfohlenen Imfpungen sinnvoll. Unsere Empfehlung enthält nur kleine Abweichungen. In Ihrem gelben Untersuchungs-Heft sind in der Regel die verschiedenen Impf-Zeitpunkte vorn eingetragen. Auf die Bedeutung der jeweiligen Erkrankung und deren Impfung gehen wir im persönlichen Impf-Gespräch ausführlich ein.
Abschließend noch eine ganz wichtige Botschaft: Wir klären Sie so gut wie möglich über Risiken auf und geben Empfehlungen ab. Egal, wie auch immer Sie sich als Eltern entscheiden: Wir respektieren Ihre Entscheidung, wie und wann Sie Ihr Kind impfen lassen möchten.